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Menschlicher, natürlicher, ehrlicher?

Ein Spaziergang zu den neuen Weinwelten und ein paar Bemerkungen dazu

Manche Freunde sind verunsichert und fragen mich: Was ist das eigentlich: Orange-Wein? Oder Naturwein? Veganer Wein? Bio, alles Bio? Amphoren? Schwefelfreie Weine? Ein Nürnberger Kollege, ungefähr in meinem Alter, gibt den Öko-Fundamentalisten im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung (18.12.2021) und behauptet: „Bei Wein wird gelogen, dass sich die Balken biegen“. Verwirrung total.

Wir alle kaufen und trinken heute wesentlich sauberere Weine als noch vor wenigen Jahrzehnten. Beim seriösen Weinhändler sowieso, und, das muss man eingestehen, auch im Supermarkt. Der globale Gedankenaustausch unter den Winzern über ihre Erfahrungen im Weinberg und im Keller, bessere Technik, wesentlich mehr Hygiene und größere Transparenz, stärkere Kontrollen, aber auch das gesteigerte Interesse und viel mehr Wissen der Kunden, all das hat einen großen Qualitätssprung bewirkt, selbst bei den industriellen Massenweinen in den Regalen der Discounter, denen es ansonsten an Ausdruck und Persönlichkeit fehlt.

Es gibt in der Weinwelt Veränderungen und Neuerungen, neue Aufmerksamkeit für bisher unbekannte oder weniger geschätzte Weinregionen und Rebsorten, neue Methoden im Keller, die sich oft bewusst auch auf uralte Methoden beziehen, Generationenwechsel und auch neue Winzer, erweitertes Wissen, neue Ideologien und neue Moden. Um es vorwegzunehmen: All das ist kein Grund zur Polarisierung, kein Grund zur Besserwisserei und kein Grund, den klassischen An- und Ausbau von Wein radikal abzulehnen und zu stigmatisieren. Er hat eine profunde Tradition und bringt nach wie vor wunderbare Weine hervor.

Was hat es mit den neuen Weinen auf sich, welche neuen Winzer und Weine sind jetzt und in Zukunft im Fokus? Eine junge Generation von Weinmachern, Gastronomen, Sommeliers und Weinhändlern, aber auch von Weinkonsumenten ist am Start. Handelt es sich bei dieser „New Wine Wave“, so ein Buchtitel, nur um ein vorübergehendes Privatvergnügen einiger Privilegierter und Aussteiger, ein esoterisches Abenteuer oder eine echte Bereicherung, die früher oder später auch dem „normalen“ Weingenießer zugutekommen wird?

Immer mehr Bio-Weine
Der Anteil der Bio-Weine auf dem Weinmarkt ist ständig im Wachsen, auch wenn er immer noch prozentual einen Anteil von nur 6 – 8 Prozent des gesamten Weinmarkts ausmacht. Dieses Wachstum findet nicht nur in den klassischen Bio-Märkten und bei ihren Vertriebsspezialisten statt. Auch der konventionelle Lebensmittelhandel öffnet sich den Bio-Produkten. Und immer mehr Winzer, die im konventionellen Weinmarkt, im Fachhandel und im Internet vertrieben werden, stellen auf biologischen Anbau und entsprechende Kellertechnik um.

Bio-Weinbauern legen ihre Weinberge mit gentechnikfreien Rebpflanzen an, begrünen die Rebzeilen und schaffen damit ein umweltfreundliches Ambiente für Nützlinge und für den Menschen. Sie verzichten auf synthetische Pflanzenschutz- und Düngemittel und setzen stattdessen Gesteinsmehle, Stroh und Mist ein. Auch auf chemische Pestizide wird verzichtet. Sie unterwerfen sich mit der Umstellung den gesetzlichen Regeln und erhalten nach drei Jahren Übergangszeit die Biozertifizierung.

Auch im Keller gelten andere Regeln als beim konventionellen Ausbau. Übertriebene technische Verfahren, die im konventionellen Weinbau eingesetzt werden dürfen, sind verboten. Bio-Weine werden nur mit natürlichen Mitteln wie Bentonit oder Eiweiß geklärt, gentechnisch manipulierte Enzyme und Hefen werden nicht eingesetzt, und auch der Einsatz von Sulfiten ist durch Höchstwerte begrenzt.

Allein im VDP, in dem die gesamte Winzer-Elite Deutschlands vereinigt ist, bauen heute schon über 50 Mitglieder biologisch an. Dass viele der besten Weingüter der Welt, wie z.B. Domaine de la Romanée-Conti (seit 2008) oder Château de Beaucastel (seit 1974!) Weinberge biodynamisch bewirtschaften, zeigt auch, dass Bio-Weine und ihre Protagonisten längst nicht mehr allein aus den Nischen der Alternativ-Szene kommen.  

Aber sind deswegen die Winzer, die konventionell arbeiten, weniger gut oder gar Lügner, wie mein eingangs erwähnter Kollege unterstellt? Sind ihre Weine weniger genießbar? Nein. Es gibt auch im konventionellen Weinbau ganz klare Regeln und Kontrollen. Es hängt auch vom Terroir inklusive der Wetterbedingungen und der Jahrgangsverläufe ab, ob vorsichtiger Einsatz von konventionellem Pflanzenschutz Vorteile bringt. Sind Weine, die mit zugesetzten Reinzuchthefen und nicht „spontan“ mit ihren eigenen Hefen vergoren werden, per se schlechter? Bestimmt nicht.

Mit Brief und Siegel
Auch in meiner eigenen Weinhandlung steigt der Anteil an Bio-Weinen gegenüber den konventionellen Weinen stetig. Dabei gilt eines: Weinbetriebe, die noch in der Umstellung sind oder „naturnah“ arbeiten, sind in unseren Regalen und Listen nicht Bio. Nur die Bio-Zertifizierung einer anerkannten Prüfstelle mit klarer, entsprechender Kennzeichnung auf der Flasche zählt. Alles andere gehört zu den Geschichten rund um den Wein. Die ja auch schön sein können.

Der ganzheitliche Ansatz: Biodynamik
Eine ganze Reihe von Winzern, auch solche aus der „ersten Reihe“, haben in den letzten Jahren ihren Betrieb mit voller Leidenschaft auf Biodynamik umgestellt. Das bedeutet noch strengere Regularien, die sich nicht allein auf den Weinberg und Keller beschränken, sondern ihren ganzen landwirtschaftlichen Betrieb betreffen. Diesen Aufbruch zu alternativen Wegen, mit der Natur umzugehen, hat die Master of Wine Romana Echensperger bei zwölf prominenten Vertretern in Portraits und Interviews kenntnisreich begleitet und in einem Buch festgehalten. Es wird deutlich, welchen tiefgehenden Wandel und Umbruch die Hinwendung zur Biodynamie für die Natur und auch für die Winzer selbst bedeutet. Jedem von ihnen geht es nicht um eine festgezimmerte Ideologie in der Nachfolge Rudolf Steiners, nicht allein um alternative und gesunde Produkte, sondern um eine andere, ganzheitliche Lebensweise, letztlich eine andere Art, sich im Einklang mit der Natur selbst zu erfahren. Deshalb heißt das Buch auch Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen. Besonders interessant zu lesen ist der historische Teil des Buches, in dem sie nach einer spannenden „Kurzen Geschichte der Landwirtschaft“ äußerst kenntnisreich in die Grundlagen der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung einführt. Dass auch der konventionelle Weinbau und die „nur“ biozertifzierten Weinbauern von den ganzheitlichen Ansätzen der Biodynamiker viele Anregungen erhalten und profitieren, ist ohne Zweifel.

Naturwein – mit oder ohne Anführungszeichen
Er packt sie alle in eine Kiste bzw. auf zwei Seiten seines umfangreichen Katalogs: NOA, mit diesen drei Buchstaben beschreibt der führende Bioweinhändler Deutschlands, Peter Riegel, die Natural- und Orange-Wines sowie die in Amphore ausgebauten Weine. N steht für Natur oder Naturwein, O für Orange-Wines und A für in Amphoren ausgebaut Weine.

Unter Naturwein kann man Weine mit besonders wenig Intervention im Keller verstehen. Aber wie ist „besonders wenig“ für den Konsumenten definiert? Gar nicht. Das können ohne oder mit wenig Schwefel ausgebaute Weine sein, auch Orange-Weine, in klassischen Amphoren (deren Ursprung in Georgien liegt) oder in Holz oder Zement ausgebaute Weine, Bio oder nicht Bio. Begriffe wie „natürlich“ oder „vin naturel“, sind irreführend und lediglich ein Stück Zeitgeist. Wein ist, seitdem Weinreben landwirtschaftlich angebaut und Trauben zur Konservierung fermentiert werden, immer das Produkt einer von Menschen gewollten Transformation von Natur in ein Kulturprodukt.

Mit gutem Grund sind Worte wie „Natur“ oder „natürlich“ weingesetzlich zum Schutz der Verbraucher zumindest grenzwertig, es gibt dazu jede Menge juristische Literatur. Nach meiner Auffassung und mit dialektisch geschultem Denken wertet die einseitige Inanspruchnahme von Natürlichkeit andere Weine und Winzer ab, die mit bewährtem Handwerk und ausgefeilter Kellertechnik auch gute und wohlschmeckende Weine machen – und das in einer über Jahrhunderte bewährten Tradition. Mit den sogenannten Naturweinen ist es ein wenig wie bei Homöopathie und Schulmedizin – nicht mit wirklich rationalen Argumenten zu begründen, nicht zu verstehen und am Ende auch nicht zu vergleichen.

Sind da Orangen drin?
Wie die „Naturweine“ sind die sogenannten Orange-Weine in den letzten Jahren ins Gespräch und in den Fokus der Weinszene gekommen. Der Ausbau mit reichlich Sauerstoffkontakt und der längere Kontakt mit den Schalen (und teilweise auch den Stielen und Stängeln) von weißen Trauben auf der Maische bringt nicht nur die dunklere Farbe, die mehr oder weniger zu Orange hin changiert, sondern zeigt sich im Wein auch durch präsentere Gerbstoffe als bei konventionell ausgebauten Weinen, oft auch durch grenzwertige Oxydationsnoten. Viele Orange-Weine tendieren zu starker, flüchtiger Säure (Essigstich) und herben, krautigen Geschmacksnoten, sie sind oft sehr stoffig und intensiv. Deshalb machen sie eher satt, oft schon nach einem Glas. Sie sind keine leichtfüßigen, eleganten Speisebegleiter, können aber in ihren besten Exemplaren eine wunderbare Erweiterung des traditionellen Geschmacksspektrums sein. Auf alle Fälle bedarf es eines sachkundigen Sommeliers oder der Beratung durch einen Weinhändler, um richtig am Tisch eingesetzt zu werden. Dann können sie ein großer Genuss sein.

Knochenleim – ein wirklich großes Problem?
Vegane Weine müssen nicht unbedingt Bio-Weine sein. Veganer legen aber oft Wert darauf, dass die Weine auch Bio sind. Im Weinberg gibt es keinen Unterschied, im Keller schon: Vegane Weine werden ohne Einsatz von Gelatine und Eiklar geklärt. Auch Produkte mit Milchbestandteilen oder andere tierischen Produkte werden nicht eingesetzt, zum Beispiel wird darauf geachtet, dass kein Knochenleim bei der Verklebung von Etiketten verwendet wird. Manchmal denke ich mir, ehrlich gesagt, wer solche Probleme hat, hat keine anderen. Oder sehr große andere.

Das richtige Maß
In meinen Augen sind Weine ohne Schwefelzusatz eine Modeerscheinung. Konservierung durch Schwefel bei Wein und anderen Lebensmitteln war schon bei den Griechen Usus. Jeder Wein enthält schon durch den Gärprozess eine gewisse Menge Sulfite. Es geht um die richtige, möglichst geringe Dosierung von durch den Winzer zugesetztem Schwefel, die den Wein vor dem Verderben bzw. vor der Transformation in Essig schützt. Schwefel dient dazu, den Wohlgeschmack im Wein zu bewahren und macht – um auch mit diesem Vorurteil aufzuräumen – in vernünftigem Maße, also gering dosiert, kein Kopfweh. Und ist damit voll im Sinne der Menschen und Verbraucher.

Auch weil in den USA Bio-Weine nur als „organic“ importiert werden dürfen, wenn sie ganz ohne Schwefel ausgebaut werden, wird in Europa viel in diese Richtung experimentiert. Basis sind Weine mit gutem eigenen Säure- und Tanningerüst. Ich selbst habe noch keinen Wein ohne Schwefelzusatz getrunken, der mich geschmacklich überzeugt hat. Die vordergründige Saftigkeit dieser Weine löst in meinem konventionell trainierten Gaumen immer das Gefühl aus, dass diesen Tropfen etwas fehlt.

Wie bei fast allem geht es beim Schwefeleinsatz um das richtige Maß. Natürlich achtet der gute Weinhändler darauf, dass seine Weine mit möglichst wenig zugesetzten Schwefel ausgebaut wurden. Saubere Arbeit im Weinberg und daraus resultierendes gesundes Traubengut sowie die wesentlich gesteigerte Hygiene in den Kellern sind aktive Beiträge dazu, dass der Durchschnitt der Weine heute wesentlich weniger geschwefelt ist als früher.

Im Wein liegt die Wahrheit
Es geht um die neuen Weinmacher. Ihnen sei gemeinsam, dass sie „nach Alternativen zur standardisierten und industriell geprägten Weinproduktion suchen und damit neue Lebensweisen verbinden“, schreiben der Master of Wine Janek Schumann und Wolfgang Staudt in ihrem Buch New Wine Wave Europas – Winzer für die Zukunft. Die Auswahl von 101 Winzern im Buch ist sehr individuell, die Fotos von Anja Prestel vermitteln die Coolness der neuen Szene. Sie geben in Schwarz-Weiß Einblicke in die Persönlichkeiten und ihr Wein-Umfeld. Zu dieser Weinszene gehören die Nachfolgegeneration in bewährten Betrieben ebenso wie Aussteiger und Einsteiger aus anderen Berufen, die erst wenige Jahre dabei sind und im Wein ein neues Leben suchen. Empathisch, manchmal auch euphorisch, tauchen die Autoren in eine Vielfalt von Lebensgeschichten ein. Zwischen den beiden Buchdeckeln stellt sich so ein spannender Aufbruch, eine neue glückhafte Verbindung zwischen Wein und Sein in vielerlei Gestalt selbstbewusst vor. Manchmal liest sich das wie ein Märchenbuch, mit schönen Grüßen aus dem Paradies. Auf der Suche nach den „ehrlicheren Weinen“ werden die neuen Winzer als „menschlicher und natürlicher“ vorgestellt. Das ist gut gemeint, hat aber auch ein wenig von dem Gutmenschentum, das ich schon bei „Naturwein“ in Frage stelle.

Freiheit für die eigene Ästhetik
Es ist nach meiner Erfahrung richtig, man kann sich den neuen Weinen nur dann annähern und sie „verstehen“, wenn man sie mit einem anderen Bewusstsein probiert, ihre Macher, ihre Geschichte, das Terroir und den speziellen Ausbau mitreflektiert. Ohne einen persön-lichen Lernprozess und viel Toleranz ist es schwer, sich dem „neuen Geschmacksuniversum, getragen vom Grundsatz der Eigenständigkeit“, wie die Autoren Schumann und Staudt es beschreiben, anzunähern. Sie schreiben – da, wo es eigentlich um guten Geschmack gehen sollte – von einer „Freiheit für die eigene Ästhetik“ und räumen den neuen Winzern ein, dass sie bewusst bestehende Normen in Frage stellen, das stilistische Spektrum erweitern und mittels ihrer Weine zu einer Auseinandersetzung mit gängigen Klischees, Definitionen und Bewertungsmechanismen zwingen. Das klassische und einfache: „schmeckt oder schmeckt nicht“ funktioniert in diesem modernen „Weinberg Europa“ nicht mehr so ganz. Muss man Weine wirklich auf diese Weise verstehen? Ist Weingenuss so eine ernste, verkopfte Sache geworden? Eins ist sicher: Die neuen Weine zeigen auch viele neue Geschmacksfacetten, und die Zeit wird erst zeigen, welche Winzer, welche Weine und welcher Geschmack dann wirklich für die Zukunft Europas stehen werden.

Weinbegleitung im Noma in Kopenhagen
Viele der angesagten Weinbars in London, Berlin, Venedig oder Kopenhagen bieten heute fast nur noch Weine an, die unter die Kategorie „natural“ fallen. Bei einem Besuch im Noma, damals auf den einschlägigen Ranglisten die Nr. 1 unter den besten Restaurants der Welt, hatten wir uns mit dem Sommelier am Anfang des Abends auf seine persönliche Weinbegleitung mit Naturweinen verständigt. In der Mitte des ansonsten hervorragenden und aufregenden Menus haben wir das gestoppt. Nach unserem Geschmack waren die Weine überwiegend fehlerhaft, stinkig, oxydiert – eine Fortsetzung dieser Qual hätte uns am Ende das ganze Menu und große Erlebnis verdorben. Den Rest des Abends retteten wir mit Weinen à la Carte, die weniger schräg waren.

Pubertät oder Qualität
Ich frage mich gerade auch nach diesem Erlebnis, ob das ein vorübergehendes Phänomen, also eine Art Pubertät ist, die irgendwann wieder abebbt, ob es eine interessante, dauerhafte Bereicherung der Weinpalette ist, oder ob die gesamte Weinszene sich weiter allein in die Richtung Naturwein und New Wave bewegt.

Die Jungen, die es anders machen wollen, machen sich berechtigte Sorgen um die Industrialisierung, Kommerzialisierung und die tatsächlich feststellbare Egalisierung des internationalen Weingeschmacks. Sie suchen Alternativen – und finden auch welche.  Am Ende wird sich herausstellen, dass die Auseinandersetzungen und Abgrenzungen zwischen der alten und neuen Welt mit Blick auf das Große und Ganze ein eher peripheres und vorübergehendes, eher ganz natürliches Phänomen sind: ein Generationenkonflikt zwischen Jungen und Alten. In meinen Augen und an meinen Gaumen bleibt aber gerade beim Wein Qualität unteilbar.

Die alte und die neue Weinwelt unter einem Dach
Ein sehr schönes Beispiel, wo die neue Weinwelt schon angekommen ist und sich mit der alten trifft, wo alternative und klassische Weine in einer ungeheuren Sortimentstiefe nebeneinanderstehen, ist die Weinbar Heunisch & Erben in Wien. Weit über 100 Weine – zum Großteil ausgeschenkt und konserviert mit dem Coravin-System – werden glasweise ausgeschenkt und die „normale“ Weinkarte hat über 1.600 Positionen. Sie ist teils nach den klassischen Kategorien der Weinsprache, teils mit neuen Begrifflichkeiten aufgebaut, wenigstens verzichtet man auf das missverständliche „Naturwein“. Nach den Schaumweinen und Champagner ist die nächste Kategorie „Weiß, Beige, Orange, Rosé“ und die Rotweinabteilung wird mit „Blass bis Dunkelrot“ tituliert. Die Mitarbeiter erklären die Weine mit großer Fachkunde und Freundlichkeit, was die Qual der Wahl bei dieser Riesenauswahl bedeutend reduziert. Das Lokal hat eine hervorragende Küche und bietet auch Menus an, auf Wunsch mit klug zusammengestellter und entsprechend kommentierter Weinbegleitung, wie ich selbst erfahren durfte. Der Name "Heunisch & Erben", erklären die Wirte, bezieht sich auf den Heunisch als Stammsorte – zusammen mit dem Traminer ist er für ca. 80% der heute bekannten und getrunkenen Rebsorten, wie zum Beispiel Chardonnay, Gamay, Blaufränkisch, Aligoté und Riesling Elternteil. Die Erben folglich findet man in der riesigen Weinkarte und im Regal von Heunisch & Erben. Dieses Lokal ist einen Besuch wert, ein toller Weinabend ist garantiert.

Guter Wein braucht wenig Worte

Ob die Naturwein-Bewegung, oder Die Freiheit, den richtigen Wein zu machen, ob New Wine Wave oder die äußerst reich bestückte Weinbar in Wien – all diese neuen Ansätze der Selbstverwirklichung zeugen von riesigem Weinwissen, einem gesteigerten Selbstbewusstsein einer jungen Generation und auch unternehmerischem Mut. Es ist eine Generation von Erben, die über andere Kommunikationsmittel verfügt und eine andere Freiheit und Leichtigkeit als ihre Väter hat, Altes abzulehnen und Neues zu hypen. Gar nicht so selten erscheint das mir aber auch wie ein ausgeprägter Ego-Tripp: Es ist gar nicht das Ziel dieser neuen Winzer und Gastronomen, dass ihre Weine möglichst vielen Leuten gut schmecken. Sie selbstverwirklichen sich mit eigenen Kreationen, die der Weintrinker dann gut finden kann oder nicht. Nicht mehr Du und ich, nicht mehr der „normale“ Weinfreund, Kunde und Gast mit seinem Geschmack und seinen Wünschen stehen in dieser neuen Welt im Mittelpunkt, sondern die Macher sind die Protagonisten: Winzer, Sommeliers, Gastronomen, Köche: Schluss mit dem Gast als König?

Leider wird Weintrinken so sehr leicht zur komplizierten Angelegenheit! Ziemlich verkopft, ideologisch gebrandet, wenig spontan – ganz anders als die in der Naturweinwelt fast obligatorische spontane Vergärung des Rebensafts. Der Sommelier serviert wortreich seine „Entdeckungen“ – komplizierte Weine, über die man mehr reden, zuhören und nachdenken muss, als sie einfach zu genießen. Manchmal finde ich das viele Weinlatein und die heruntergebeten Essensbeschreibungen in jungen Restaurants ziemlich nervend … ich will doch nur einen schönen Abend haben.

Bei all diesen Gedanken über die die alte und die neue Weinwelt kommt bei mir große Lust auf, ein Glas Wein zu trinken. Einfach so. SEMPLICE.

 

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Menschlicher, natürlicher, ehrlicher? - Ein Spaziergang zu den neuen Weinwelten und ein paar Bemerkungen dazu

 

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SEMPLICE ist ein Beitrag von Eberhard Spangenberg auf der Homepage von GARIBALDI. Er ist seit 1983 Inhaber von GARIBALDI, war 1992 Gründer von Slow Food Deutschland und viele Jahre Publizist und Verleger. Es geht in SEMPLICE um kritische und kreative Gedanken zum genussvollen und bewussten Leben, um kulinarische und kulturelle Themen.

Interview mit Eberhard Spangenberg auf der BLAUCN COUCH vom 3.5.2023 auf BR Podcast >>

Am Anfang von SEMPLICE steht der Traum, eine Strandkneipe an der toskanischen Küste zu betreiben, vor einem Pinienwald und mit blauen Sonnenschirmen und blauen Liegestühlen. Daraus entwickelt sich ein nächster Traum, ein einfaches kleines Lokal in München mit gerade mal zwei Dutzend Gästen. Sie sitzen zum Teil an der offenen Küche, zum Teil an einem großen Tisch. Eberhard Spangenberg verwöhnt seine Gäste mit einfachen und einfachsten Gerichten aus besten Rohstoffen und mit ein paar ausgewählten Weinen. Dazu gibt es jede Menge guter Tipps und viel Kommunikation. Schließlich geht dieses Traumlokal auf Reisen, in zwei Zirkuswägen, einer mit der offenen Küche und Bar, der andere mit ein paar Tischen und Gartenmöbeln, die man überall aufstellen kann, wo interessante Menschen zusammenkommen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass zum Träumen und zur Verwirklichung des einfachen und glücklichen Lebens Papier und Bleistift genügen, und im besten Fall auch noch ein blauer Liegestuhl. Das ist SEMPLICE.

 


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